Innovation untertage – VirtuRail

17.09.2024, 11:13 Uhr

Zum Bau eines Tunnels sind leistungsfähige Logistikeinrichtungen für die Materialver- und -entsorgung sowie den Mannschaftstransport erforderlich. Während in der Vergangenheit aufgrund der beengten Verhältnisse zum überwiegenden Teil klassische Eisenbahnanlagen oder schienengeführte Fahrzeuge eingesetzt wurden, sind heute flexiblere und umweltfreundlichere Lösungen gefragt.

VirtuRail ASV fahren in einen Tunnel

Das Bludenzer Unternehmen Jäger Bau bietet mit dem eigens gegründeten Tochterunternehmen VirtuRail seit 2021 eine innovative Lösung. Gemeinsam mit den Automatisierungsspezialisten von Minetronics entwickelte das junge Team die Idee von vollelektrischen, automatisierten Servicefahrzeugen auf Gummirädern mit dem Ziel, auf jegliche Schienen oder sonstigen mechanischen Orientierungshilfen verzichten zu können. Mithilfe der Konstruktionsexperten von Reisch Maschinenbau in Frastanz übersetzte VirtuRail seine Idee in nur neun Monaten in die Realität.

Die VirtuRail ASV (Automated Service Vehicles) fahren ohne Gleise flexibel und dennoch zu 100 % spurtreu. Möglich macht das die in den Fahrzeugen installierte Steuerungselektronik in Verbindung mit Radar-, Lidar- und Ultraschallsensoren. Diese Sensorik hilft dem Fahrzeug auf die ständig verändernden Umfeldbedingungen zu reagieren und das Fahrzeug sicher durch den Tunnel zu lenken. Nach vorne gerichtete Radar- und 3D-Lasersensoren erkennen, ob sich Hindernisse in der Fahrbahn befinden. Falls ja, weichen die ASV aus oder bleiben, wenn ein Ausweichen nicht möglich ist, selbstständig stehen. 360° ausgerichtete Ultraschallsensoren dienen, wie die Parksensoren beim Auto, zusätzlich dazu, das komplette Nahfeld der ASV zu analysieren und Hindernisse direkt beim Fahrzeug zu erkennen.

Per RFID-Technologie kann die zu fahrende Strecke in unterschiedliche Sektionen unterteilt werden. Die ASV lesen beim Vorbeifahren die Informationen des RFID-Tags aus, wissen dadurch, auf welcher Streckensektion sie sich befinden, und passen ihr Fahrverhalten der jeweiligen Sektion an. So bleiben sie beispielsweise auf einer zweispurig befahrenen Brücke auf der rechten Seite, fahren im Haupttunnel mittig und reduzieren beim Eintreffen auf der Tunnelbohrmaschine, wo extrem beengte Verhältnisse vorherrschen, ihre Geschwindigkeit, um zentimetergenau positionieren zu können.

Die ASV werden entweder einzeln oder aneinandergehängt in einem Zugverband mit mehreren Fahrzeugen betrieben. Je nach Aufgabe, die sie zu erfüllen haben, nutzen sie unterschiedliche Aufbauten. Im Zugverband sitzt der Fahrer meist in einer Kabine auf einem ASV und kann das gesamte Umfeld per Videowall überwachen. Im Einzelbetrieb ohne Kabine befindet sich der Fahrende in der Nähe des ASV und steuert dieses mittels Fernsteuerung. In der Regel erledigen die installierten Assistenzsysteme die Steuerung des Zugverbands, der Bedienende hat nur eine Überwachungsfunktion und greift im Notfall ein.

Die ASV werden aktuell in drei Fahrzeugbreiten hergestellt. Je nach Tunneldurchmesser und den zu transportierenden Materialien kommt der ASV C120 (mit 1,20 Metern Breite), C160 oder C180 zum Einsatz. Der C160 bewegt beispielsweise bis zu 27 Tonnen Nutzlast mit bis zu 25 km/h Geschwindigkeit. Transportiert werden mit den ASV jegliches Baumaterial, Werkzeuge und die schweren Betonfertigteile zur Sicherung des Tunnels. Der Transport der Materialien wird in der Regel im Zugverband durchgeführt. Als Einzelfahrzeug kann das ASV im Tunnel auch für das Positionieren und Versetzen einzelner Betonfertigteile zum Einsatz kommen, dafür werden sie mit einer speziell konstruierten Versetz-Vorrichtung ausgestattet.

Angetrieben werden die bis zu 40 Tonnen schweren ASV von zwei 100 kW-Elektromotoren, die für eine emissionsfreie Fahrt sorgen und damit die wertvolle Frischluft im Tunnel nicht belasten. Die Batterien werden bei der Beladung der Fahrzeuge auf der Baustelleinrichtung aufgeladen.

Bisher sind 19 ASV auf zwei Baustellen im Einsatz: beim Bau des 25 km langen Beileitungsstollen des Speicherkraftwerks Kühtai in Tirol und beim Kerenzerbergtunnel in der Schweiz. In diesen beiden Projekten werden wertvolle Erfahrungen mit den ASV gesammelt, die in die Weiterentwicklung der Fahrzeuge einfließen.

Das Unternehmen VirtuRail beschäftigt aktuell 10 Vollzeitmitarbeitende und sitzt in der neuen Firmenzentrale von Jäger Bau in Bludenz. Als Mitglied der Vereinigung Subspace Energy forscht es in Zusammenschluss mit anderen Unternehmen an Sicherheitsthemen im Zusammenhang mit dem Einsatz elektrischer Baumaschinen im Untertagebau.

Foto (c)Stefan Kothner

Die VirtuRail ASV kommen unter anderem beim Bau des Kerenzerbergtunnels in der Schweiz zum Einsatz.